Dienstag, 9. Oktober 2012

Raik Thorstad

Hallo, ich begrüße alle zum Interview von Raik Thorstadt in der Lesewelt. Ihr habt keine Ahnung, wie nervös ich bin, weil es mein „erstes Mal“ ist, doch Raik hat sich meiner angenommen und ganz souverän meine Fragen beantwortet. Das Ergebnis will ich euch natürlich nicht vorenthalten.
Dann will ich mal keine großen Reden mehr schwingen, sondern gehe gleich zum interessanten Teil über.

Here we go…


1. Beinahe jeder Autor wird im Verlauf seines Schriftstellerdaseins gefragt, was das Schreiben ihm bedeutet und man bekommt stets ähnliche Antworten, was ja irgendwo auch nachvollziehbar ist. Unter anderem heißt es, dass das Schreiben an sich so wichtig wie das Atmen selbst ist, dass es einen erfüllt und beglückt. Das will ich aber gar nicht von dir wissen, denn ich bin mir sicher, dir geht es genauso. Was mich vielmehr interessiert ist: Gibt es irgendwas auf der Welt, für das du das Schreiben jemals aufgeben würdest und wenn ja, verrätst du uns was?

Das Schreiben aufgeben … Gehen wir mal davon aus, dass der Drang zu schreiben, nicht zwanghaft wäre und somit etwas, das man eintauschen kann. Ich habe schon immer wieder zwei Leidenschaften gehabt: Das Schreiben und die Musik. In jüngeren Jahren habe ich der Musik den Vorzug gegeben. Aber aus gesundheitlichen Gründen konnte nicht das daraus werden, was hätte sein können. Insofern würde ich sagen: Wenn ein Dämon/eine Fee/ein Teufelchen vorbeikäme und mir Gesundheit im Tausch gegen das Schreiben verspräche, würde ich vielleicht darauf eingehen, um die Musik zurückzubekommen. Es wäre für mich ein doppelter Sieg, wenn man so will. Und Gesundheit ist ein sehr kostbares Gut.

2. Es gibt unzählige Bücher auf dem Markt. Wir lesen sie, fühlen uns amüsiert, sind entsetzt, lachen und weinen, doch die wenigsten bleiben uns dauerhaft in Erinnerung. Wir legen sie beiseite, vergessen sie und wenden uns neuem Lesestoff zu.  Doch ab und an kommt es vor, dass sich ein bestimmtes Buch im Kopf festsetzt und einfach nicht vergessen werden will. Hast du auch ein Buch, das dir nicht mehr aus dem Sinn geht? Eines, das dich auch nach Jahren noch so nachhaltig beeindruckt, dass du es immer wieder zur Hand nimmst?

Wie: eins? ;)
Als Leseratte tut es mir in der Seele weh, solche Fragen zu beantworten. Tausend andere Bücher „weinen“, wenn ich einem von ihnen den Vorzug gebe. Aber lass mich nachdenken…
Die Moers-Bücher rund um Zamonien sind allesamt Bücher, die mich vom Schriftstellerischen her tief beeindrucken. Warum? Weil sie viele der angeblich festgeschriebenen Regeln des Handwerks ignorieren. Weil sie unglaublich detailliert, verrückt und verdreht sind. Moers hat das Ganze mit seiner jüngsten Veröffentlichung „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ auf die Spitze getrieben, indem er den Lesern heimlich einen gigantischen Prolog untergejubelt hat. Ich bin vor Begeisterung von einem Zimmer ins andere gerannt und habe Dinge gesagt wie „Er hat es echt gewagt! Unglaublich!“
Darüber hinaus fallen mir zwei Bücher ein, die mir vor rund 20 Jahren geschenkt wurden. Einmal „Aischa“ von Frederica de Cesco und „Chaja heißt Leben“ von Jane Yolen.
Ersteres ist ein sehr bedrückendes Dokument über eine in Frankreich lebende Muslimin, die versucht, ihre Flügel auszubreiten und daraufhin in die Hölle der Familienehre gerät. Zweiteres ist eine Zeitreisegeschichte über ein jüdisches Mädchen, das in die NS-Zeit geschleudert wird und sich im Konzentrationslager wiederfindet.
Beides sind sehr eindringliche Jugendbücher, die ich alle paar Jahre aus dem Schrank hole und erneut lese. Besonders „Chaja heißt Leben“ ist dabei unglaublich brutal. Und umso älter ich werde, umso mehr greift es mich an.

3. Du hast in deinem Blog geschrieben, dass ein Verlag auf dich zugekommen ist und dich haben wollte. Hast du das sofort ernst genommen, oder warst du zuerst skeptisch?

Ich war sehr skeptisch. Zwar habe ich das Vorgehen des Verlags nicht angezweifelt, da sie mit Chris P. Rolls jemanden hatten, dessen Urteil ich vertrauen konnte. Aber ich habe an mir selbst gezweifelt.
„Meine Verlegerin wartet. Schick mal deine Ideen ein“, hieß es.
Ich konnte nicht daran glauben. Ich konnte mir nicht vorstellen, ein Buch herauszubringen. Ich habe bis zum Schluss – bis ich es in der Hand hielt -, fest daran geglaubt, dass irgendetwas schiefgeht. Alles in allem war die ganze Vorstellung utopisch. Dabei hatte ich vor vielen Jahren schon einmal das Angebot bekommen bzw. über einen Wettbewerb gewonnen. Trotzdem, es war unvorstellbar.
Aber ich habe daraus gelernt, und das kann ich anderen Autoren nur dringend ans Herz legen: Traut euch. Verleger beißen nicht. Vielleicht lehnen sie ab. Aber die, denen ich begegnet bin, wussten sehr genau, wie man ein unsicheres Autorenherz päppelt.

4. Schreiben ist nicht nur ein Vergnügen, sondern auch harte Arbeit und erfordert viel Disziplin. Selbst der leidenschaftlichste Schreiberling lässt sich ab und an gerne ablenken. Wie motivierst du dich jeden Tag neu, um dich fleißig der Tastatur zu bedienen?

Ich habe kein Motivationsproblem, wenn ich ehrlich bin. Ich habe eher ein Ausbrenn-Problem. Ich neige dazu, sehr viel von mir zu erwarten und mich zu übernehmen. Je nachdem, was für Szenen man gerade schreibt, ist das Schreiben wirklich harte Arbeit. Wenn ich an Szenen vom „Leben im Käfig“-Nachfolger „Nach der Hölle links“ arbeite, muss ich mich auf Andreas einlassen. Das heißt, dass ich seine Panikattacken miterlebe, um sie authentisch aufs Papier zu bringen. Das kostet unglaublich viel Kraft. Und ehrlich gesagt werden mir von außen – Mann und bester Freund, danke, Jungs  – Pausen verordnet, weil ich mich sonst zu weit treibe.

5. Wie strukturiert gehst du bei einem Roman vor? Planst du alles so detailliert wie möglich, oder reicht dir ein grober roter Faden?

Allem vorweg: Ich lerne noch. Ich glaube nicht, dass ich mir leisten kann, von der Weisheit letzter Schluss zu reden. Insofern entsteht zurzeit jeder Roman etwas anders. Es hängt auch vom Genre ab.
Bei meinem Erstling und dessen Nachfolger haben sich viele Szenen von Anfang an in meinem Kopf gebildet. Es war ein Strang logischer Entwicklungen, denen ich folgen musste, um die Geschichte richtig erzählen zu können. Insofern war ein roter Faden da.
Bei den historischen Sachen und in der Fantasy ist es ein Wühlen nach der Welt, in der man sich bewegt. Während der Recherche entstehen die Szenen. Kleinigkeiten, die man verwerten will.
Alles in allem beginnt für mich  jeder Roman mit denselben Fixpunkten im Kopf: Charaktere, Anfang und Ende. Dazwischen herrscht Fluss, bis sich die nächsten Stationen bilden. Das geschieht permanent. Am Ende ist der Fluss „getrocknet“ und ich weiß genau, wo es langgeht. Und dann platzt mir der Kopf, weil ich Panik habe, dass ich etwas vergesse.

6. Viele junge Autoren scheitern daran, dass ihre Werke als nicht marktgerecht abgelehnt werden, selbst wenn die Schreibe durchaus Potenzial hätte. Auch wird oft geraten, sich am Markt zu orientieren und das zu schreiben was gerade „in“ ist. Wie stehst du dazu? Wie sehr sollte oder darf man sich als Autor verbiegen, um dann vielleicht eines Tages, das schreiben zu dürfen, was man wirklich möchte?

Es gibt wenige Themen, bei denen ich eine härtere Meinung vertrete als bei dieser. Vielleicht liegt es daran, dass ich musikalisch im Metal beheimatet bin, mich schon immer mit dem Mainstream herumgeschlagen habe und mir insofern jede Form von künstlerischer Integrität am Herzen liegt.
Gut und gut: Das geht gar nicht.
Schreiben bedeutet, das eigene Herzblut fließen zu lassen. Was aktuell auf dem Buchmarkt passiert und welchen Preis einige Autoren zahlen, um bei den großen Verlagen unterzukommen, hat für mich nur noch bedingt mit Kunst zu tun. Der Markt wird von Quasi-Kopien der aktuellen Bestseller überschwemmt, jeder versucht sich ein Stück vom Kuchen abzubeißen.
Für mich kommt diese Form von Verbiegen nicht infrage. Wenn andere diesen Weg gehen, weil sie darauf bauen, eines Tages damit reich zu werden, ist es ihre Entscheidung. Aber ich kann es weder empfehlen noch würde ich bei Incubus mit jemandem arbeiten, der plötzlich schwule Literatur schreibt, weil er glaubt, dass er dadurch einen Bestseller produziert.
Wir haben genug Plastik in den Charts. Wir brauchen ihn nicht auch noch bei den Büchern.
Darüber hinaus glaube ich nicht, dass ein Autor auf diesem Weg zu dem Punkt kommt, an dem er frei schreiben kann. Man darf nicht vergessen, dass der eigene Name irgendwann eine Marke ist. Das heißt, das Publikum erwartet gewisse Dinge von diesem Namen, und wenn man diese Erwartungen nicht bedient, gibt es sehr lange Gesichter – und böse Reaktionen auf Amazon. ;)

7. Es ist ja kein Geheimnis, dass heutzutage die wenigsten Autoren von ihren verlegten Werken leben können und das Schreiben nur nebenher betreiben. Wird die Arbeit eines Künstlers in deinen Augen nicht ausreichend wertgeschätzt, oder als zu selbstverständlich hingenommen?

Puh, das ist ein Thema, das sich nicht in ein paar Sätzen abhandeln lässt.
Dass Autoren nicht von ihrer Arbeit leben können, hat ja verschiedene Gründe. Einer ist sicherlich, dass unglaublich viele kleine Zwischenstellen vom Gewinn eines einzelnen Buchs etwas abhaben möchten. Zwischenhändler, Grossisten, Verlag, Designer, Lektoren … alle müssen bezahlt werden. Das heißt, es bleibt an jeder Stelle sehr wenig hängen. Es ist ja nicht so, als würde sich eine einzelne Gruppe über die Maße bereichern. Und von jeder einzelnen Stelle hängen Arbeitsplätze ab. Das ist die wirtschaftliche Seite, die in der Vergangenheit so gewachsen ist und für mich nichts mit Wertschätzung zu tun hat.
Die andere Seite ist, dass wir in Deutschland – oder überhaupt? – eine ziemliche „Will alles haben, aber möglichst nichts dafür bezahlen“-Mentalität entwickelt haben. Da ist es ziemlich egal, ob es um Kleidung, Musik, Filme oder eben Bücher geht.
Der Wert des einzelnen Produkts wird nicht wirklich wahrgenommen. Und ja, an der Stelle wird für mich vieles als zu selbstverständlich verstanden. Und ich erwische mich selbst dabei, dass es bei mir nicht anders ist.
Aber ich kann nicht sagen, dass meine Arbeit als solche nicht genug geschätzt wird. Mir hat jemand vor kurzem gesagt: „Es kommt nicht darauf an, wie viele dein Buch lieben. Es kommt darauf an, dass die Richtigen es tun.“
Will sagen: Meine Leser zeigen mir jeden Tag, dass ihnen meine Arbeit viel bedeutet. Was will ich mehr?

8. Besonders schlaue Leute meinen, dass keiner gezwungen wird ein Buch zu schreiben und sich Mann/Frau lieber einen „anständigen“ Job suchen sollten. Was würdest du so einem Menschen entgegenhalten?

Öh. Das ist ein Totschlagargument aus einer „Autoren bekommen zu wenig Gehalt“-Diskussion, oder? Insofern wäre es genau das, was ich demjenigen sagen würde: „Spar dir deine Stammtischreden. Totschlagargumente sind rhetorische Bankrott-Erklärungen.“
Jemandem, der glaubt, dass das Schreiben keine richtige Arbeit ist, kann ich nicht helfen.
Aber wenn es darum geht, dass ein Autor sagt: „Ich schreibe die ganze Zeit, verdiene fast kein Geld und bekomme Unterstützung vom Amt, das mich finanziert.“, bin ich auch skeptisch.
Man kann vom Schreiben allein erst leben, wenn man viele Bücher auf dem Markt hat oder eines, das durch die Decke gegangen ist. Das sollte man sich bewusst machen. Insofern muss eine finanzielle Rückendeckung her, wenn man seinen Traum verwirklich will. Das mag dann so ein „anständiger“ Job sein, der die Miete zahlt, aber einen geistig nicht zufriedenstellt.
Es nutzt verdammt wenig, wenn man plötzlich nicht mehr schreiben kann, weil einem der Strom abgestellt wurde. Das mag im Interview zehn Jahre später zwar ganz romantisch klingen, aber wäre nicht mein Weg.


9. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich zum Schreiben motiviert hat, oder stecken die Geschichten schon immer in dir drin und wollen raus?

Nein. Ich habe geschrieben, bevor ich alle Buchstaben im Alphabet kannte. Ich habe Geschichten erzählt, bevor ich das Lispeln eingestellt hatte. Allerdings gab es vor einigen Jahren ein Schlüsselerlebnis, das mich dazu gebracht hat, dem Schreiben einen großen Teil meines Tages zu widmen. Das war der Wegfall der Musik und damit meiner geliebten Arbeit. Als zwanghafter Workaholic vom Arzt zu hören, dass man sich „ein oder zwei Jahre zuhause ausruhen soll“, da der Gatte ja arbeite und es insofern keine finanziellen Probleme gäbe, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Insofern war das sicher ein Schlüsselerlebnis und ein beruflicher Wendepunkt, der mich in diesem Jahr zu neuen Zielen führt.


10. Zum Abschluss eine Frage, die ich allen Autoren stellen werde: Stell dir vor, du dürftest einen Nachmittag mit einer Person aus dem Weltgeschehen verbringen. Wer dürfte sich auf deine Fragen freuen?

Ach herrje. Mir fällt nicht einmal jemand ein, den ich heutzutage mit Fragen löchern möchte. Ich bin niemand, der „Fan“ von einzelnen Personen wird.
Für mich wäre es insofern am Interessantesten, einen Verantwortlichen für die großen Rätsel der Baukunst zu sprechen. Wie haben sie denn nun die Pyramiden gebaut? Woher kommt die Sphinx? Was hat es bitte schön mit Stonehenge auf sich? Woher kommen die Nazca-Linien in Peru?
Das wären Fragen, die mich interessieren.

Und falls ich noch ein Schlusswort anfügen darf:
Ich bedanke mich ganz herzlich für die Möglichkeit zum Interview und die ausgefallenen Fragen. Alles Gute für die neu entstandene Lesewelt. Möge sie wachsen und gedeihen und mich mit ihren Buchempfehlungen in den finanziellen Ruin treiben.


Ich bin es, die sich bedanken muss für die außergewöhnlichen und zum Nachdenken anregenden Antworten. Ich wünsche dir weiterhin noch viele Ideen, immerwährende Motivation und vor allem Gesundheit, um in Zukunft so richtig durchstarten zu können.


Wir bedanken uns für die Möglichkeit Raik ein paar Fragen stellen zu dürfen und wünschen weiterhin viel Erfolg.

Herzlichst, das Lesewelt-Team.

Hier noch der Link zum Facebook-Interview:http://tinyurl.com/9yz2ot2

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